Innovation: Lippenbekenntnisse reichen nicht

In Deutschland gibt es allein 1.000 öffentlich finanzierte Forschungseinrichtungen, dazu kommen zahlreiche Unternehmen und Organisationen, die ihre eigenen Forschungs- und Entwicklungszentren betreiben. Deutschland, ein Paradies für Forscher und Innovatoren? Tatsächlich sind wir Forschungsweltmeister in vielen Bereichen, angefangen bei der Automobilindustrie über den kompletten High-tech-Bereich bis hin zu vermeintlich unscheinbaren Bereichen wie der Sensorik. Und die Bundesregierung drückt weiter aufs Gaspedal: die High-tech-Strategie 2025 hat sich zum ambitionierten Ziel gesetzt, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung von unter 3 auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu hieven.

Bildung, die stecken bleibt

Bildung stellt die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek erwartungsgemäß in den Vordergrund, und zwar als Voraussetzung einer weiter währenden Innovations-Blütezeit in Deutschland. Im Konzeptpapier der Bundesregierung setzt sie das Thema Bildung mit Hochschulbildung und Weiterbildung gleich. Dagegen ist natürlich nichts zu sagen, allerdings greift die Sichtweise in meinen Augen zu kurz: Hightech-Bildung muss deutlich früher starten. Ich plädiere, wie viele andere auch, für ein Pflichtfach Informatik schon im frühen Klassen. Sollte doch durchführbar sein im Zeitalter der Smartphones, in dem auch schon unsere Knirpse wie selbstverständlich mit mobilen Devices hantieren und die Logik von Apps verinnerlicht haben. Ich bin sicher, dass viele, auch jüngere Schüler programmieren, die Hintergründe des Internets begreifen und die Funktionsweise von Datenbanken verstehen lernen wollen. Und natürlich interessieren sie sich für das Potenzial von Robotern und die Zukunft der KI. Im gleichen Atemzug könnten wir sie für den Datenschutz sensibilisieren – ein Thema, das in ihrem späteren Leben ohnehin eine immer größere Rolle spielen wird.

Die damit einhergehende Demystifizierung der Digitalen Welt: sie ist die beste Basis für logisches und Innovations-getriebenes Denken. Aber leider gibt es Widerstände: von einer rückwärts-gekehrten Lehrerschaft, die sich aus Unerfahrenheit nicht traut, das Thema aufs Tablett zu bringen. Hinzu kommt: Bildung ist Ländersache, eine konzertierte Digitale Offensive ist allein deswegen schon ausgeschlossen. Die Länder beschließen Lehrpläne im eigenen Elfenbeinturm, der Bund muss sich heraushalten. Stattdessen werden zahllose marode Schulen sich selbst überlassen, weil die Länder das milliardenschwere Bundesprogramm zur Sanierung der schulischen Infrastruktur ignorieren: das Antragsverfahren sei zu kompliziert.

Derweil haben Bund und Länder den „DigitalPakt Schule“ ins Leben gerufen: Irgendwann in den nächsten fünf Jahren sollen Schulen „digital besser ausgestattet“ werden, Schüler „souverän und selbstbestimmt“ mit digitalen Medien umgehen können. Tablets im Unterricht: Das stellt die Politik sich also unter Digital-Offensive vor.

Ein Pflichtfach Informatik würde Schüler auch motivieren, sich eher für ein MINT-Studienfach zu entscheiden: die beste Garantie für den Fortbestand des deutschen Forschungsgeistes. Leider herrscht nach wie vor gerade in technischen Bereichen ein erheblicher Fachkräftemangel, nicht zuletzt wegen des rasanten strukturellen Wandels in der Wirtschaft. Und die Lage spitzt sich zu: der demografische Wandel wird dazu führen, dass in Deutschland immer weniger Menschen im erwerbsfähigen Alter sind. Schon heute klagen viele Unternehmen, dass sie kaum IT-Sicherheitsexperten und KI-Programmierer finden. Hinzu kommt, dass schon in nächster Zukunft die meisten Berufe völlig neu sein werden: vier von fünf Berufen im Jahr 2030 sind heute noch unbekannt. Die beste Möglichkeit, sich darauf vorzubereiten, sind eine frühe Informatik-Ausbildung und MINT-Studiengänge, denn damit sind wir am flexibelsten.

Visionen, die stecken bleiben

Ja, Deutschland ist innovativ und Forschungs-getrieben. Aber es gibt viele Lippenbekenntnisse, die leider auch wichtige Themen betreffen. Beispiel Breitband: nicht nur der aktuelle, schon der vorletzte Koalitionvertrag 2014 versprach vollmundig, die Hochgeschwindigkeitsnetze flächendeckend auszubauen. Passiert ist – nicht viel. In Japan sind drei Viertel aller Haushalte mit Glasfaser versorgt, in Deutschland gerade mal ein paar Prozent. Nicht anders geht es dem Mobilfunk: die aktuelle Diskussion um den 5G-Standard (der Voraussetzung für IoT oder autonomes Fahren) ist wieder einmal ernüchternd, weil ein flächendeckender Ausbau im Grunde nicht machbar ist, er sei „so unfassbar teuer“, so Kanzleramtsschef Helge Braun. Zuerst müsse eine „Flächendeckung bei der Vorgängertechnologie 4G“ erreicht werden. Das ist eine optimistische Sichtweise: an vielen Orten außerhalb der Metropolen klagen Bürger über lahme Verbindungen, oft ist nicht mal eine 2G-Verbindung verfügbar, und die Leitung bleibt tot. Unvergessen die Ankündigung von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in diesem Frühjahr: eine App sollte entwickelt werden, in der Bürger „einfach und unbürokratisch“ Funklöcher melden können. Abgesehen davon, dass die großen Provider alle Funklöcher präzise kennen und seit Jahren auf ihren Websites bekannt geben: während der absurden Diskussion bereitete das afrikanische Land Lesotho die flächendeckende Einführung des 5G-Standard vor.

Derweil ist neben der Staatsministerin für Digitalisierung Dorothee Bär, deren Handlungsfähigkeit im Spannungsfeld zwischen Ministerien und Ländern durchaus eingeschränkt ist, Katrin Suder als Vorsitzende des neu ins Leben gerufenen Digitalrates ernannt worden: ein weiteres Gremium, das über Breitband- und Mobilfunkausbau, den Digitalpakt Schule und Künstliche Intelligenz diskutieren will.

Künstliche Intelligenz? Wir erinnern uns, dass KI im Koalitionsvertrag eine wichtige Rolle gespielt hatte. Immerhin wurden im Juli die „Eckpunkte der Bundesregierung für eine Strategie Künstliche Intelligenz“ vorgestellt. Sie umfassen zahlreiche Ideen und das Ziel, KI in Deutschland auf ein „weltweit führendes Niveau“ zu bringen; eine tatsächliche Strategie mit konkreten Maßnahmen soll aber erst Ende des Jahres veröffentlicht werden – über zwei Jahre, nachdem Marktführer USA einen strategischen Forschungs- und Entwicklungsplan für KI veröffentlicht hatte. Mal sehen, wie weit wir kommen.

Und so gibt es viele Bereiche, die froher Hoffnung angekündigt werden, aber in den Mühlen der Parteipolitik, der Gesetzgebung und der durchaus verständlichen Lobbyaktivitäten der Industrie ins Stocken geraten. So will die High-tech-Strategie 2025 etwa die „Nationale Reduktions- und Innovationsstrategie für Zucker, Fette und Salz in Fertigprodukten“ vorantreiben, und zwar „zusammen mit Wirtschaftsverbänden, Fachgesellschaften und -verbänden“. Liebe Bundesregierung: lobenswert, aber der Aufwand ist wirklich nicht nötig. Schon vor 15 Jahren hätten wir die Lebensmittelampel einführen können. Verbraucherorganisationen, Verbraucher, Wissenschaftlicher, Krankenkassen, Ärzte und sogar der Bundestag haben die Idee immer wieder unterstützt. Gescheitert ist sie bis heute, Lobbyarbeit der Lebensmittelindustrie sei Dank.

Ebenso enttäuschend: das verpasste Klimaziel. Bis 2020 sollte der CO2-Ausstoß gegenüber 1990 um 40 Prozent reduziert werden: Pustekuchen. Wenn wir Glück haben, erreichen wir 30 Prozent. Schuld? Nicht die Politik und deren Gestaltungsspielraum, sondern Wirtschaft und Bevölkerung. Jetzt soll es ein neues Gesetz geben.

Genauso wenig einzuhalten ist das Ziel der Bundesregierung, bis 2020 eine Million E-Autos zugelassen zu haben. Wenn wir Glück haben, schaffen wir es 2022. Es fehlt an Infrastruktur und wohl auch an politischen Willen, das Ziel zu erreichen: andere Länder wie China und Norwegen schaffen es, die Elektromobilität stark und erfolgreich zu fördern – Deutschland eben nicht.

Deutschland ist bis heute Forschungs-Weltmeister – mehr schlecht als recht, könnte man manchmal meinen. Viel zu oft gibt es gesetzliche, strukturelle und institutionelle Hürden, die innovativen Ideen das Leben schwer machen. Als Tiger springen, als Teppichvorleger landen: das scheint allzu oft das Motto der politischen Akteure zu sein, wenn es um Innovation und die Umsetzung von Visionen geht. Deutschland muss besser werden: mit einer pragmatischen Innovations-Offensive.

About the Author: Dinko Eror

Dinko Eror is Senior Vice President and Managing Director of Dell EMC Germany. He is responsible for the strategic alignment of Dell EMC as a provider of Digital Transformation solutions and services and for promoting Dell EMC’s growth in Germany. Dinko has more than 25 years of professional experience in the IT industry and has been working for EMC for eight years. Until the end of 2015, he was Vice President of EMC Global Services for the EMEA region. In this role, Dinko oversaw EMC’s consulting and technology professional services as well as its award-winning customer support organizations, helping clients drive business value through IT innovation. Previously, Dinko lead EMC’s presales organization in EMEA. From 2009 until 2013, he was Director Technology Solutions and Senior Director Global Services at EMC in Germany. Prior to joining EMC, Dinko held several management positions with Hewlett-Packard. Most recently he was Head of Data Centre Organization North, Central and Eastern Europe at HP. Dinko is passionate about how technology is disrupting and revolutionizing business strategies – particularly through the enabling power of the software-defined enterprise. He is named amongst the world’s top 25 Cloud Influencers.